Max Verstappen aus den Niederlanden vom Team Red Bull jueblt über seinen Sieg in Abu Dhabi und den WM-Titel. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Kamran Jebreili/AP POOL/dpa)

Aus der Red-Bull-Box dröhnten die Bässe, auf den Tribünen feierten unbeirrt die glückseligen Fans in Orange und Max Verstappen wünschte sich kein Ende seiner Weltmeister-Party.

Was er und der fast schon auf tragische Weise entthronte Lewis Hamilton zur Krönung des neuen Champions am Ende einer denkwürdigen Saison inszenierten, überbot alles. Und als hätten alle nicht genug davon bekommen können, hing das Resultat erstmal in der Schwebe: Mercedes legte gleich zwei Proteste ein. Das Nachspiel einer Saison mit einem giftigen Zoffduell um den Titel voller Emotionen – Mercedes kam mit Anwalt zur Anhörung.

Verstappen: «Manchmal passieren Wunder»

Es ging um die alles entscheidende Szene, die Verstappen auf der allerletzten Runde der Saison nach einer Safety-Car-Phase in die Position brachte, den eigentlich dem Sieg entgegenfahrenden Hamilton elf Kurven vor dem Saisonende noch zu überholen. Womöglich hätte das Safety Car eine Runde länger draußen bleiben müssen – dann wäre das Rennen hinter dem Wagen von Bernd Mayländer beendet worden und Hamilton Weltmeister geworden. Denn Überholen ist dann nicht mehr erlaubt.

Es kam anders, zur unbändigen Freude erstmal von Verstappen. «Es ist unglaublich, ich habe das ganze Rennen gekämpft. Es ist verrückt», stammelte er ach seinem zehnten Saisonsieg und dem wichtigsten der insgesamt 20 seiner Karriere. Der Sieg zum ersten Titel in seinem siebten Jahr in der Formel 1. «Manchmal passieren Wunder.»

Auch Papa Jos hielt es auf den letzten Metern kaum mehr aus. «Ich konnte nicht mehr sitzen bleiben», erzählte er, die Hoffnung war vermeintlich schon dahin nach dem völlig verpatzten Start des Sohnes. Der direkte Konter mit einem seiner bekannten Knallhart-Manöver funktionierte auch nicht. Hamilton hatte Verstappen den Vorteil der Pole nach wenigen Metern abgenommen und fuhr bis wenige Kilometer vor der karierten Zielflagge in seinem Mercedes auch trotz eines cleveren Bremsklotz-Versuchs durch Verstappens Teamkollegen Sergio Perez auf Kurs zum achten Titel und damit der alleinigen Rekordweltmeisterschaft vor Michael Schumacher.

Entscheidung auf der letzten Runde

«Ich bin weggelaufen und hab mich oben in ein Zimmer gesetzt», erzählte Jos Verstappen. «Max ist der Weltmeister, aber so fühle ich mich jetzt auch», sagte er. Der ehemalige Pilot kam rechtzeitig zum unfassbaren, aber auch diskussionswürdigen Showdown zurück.

Ohne den Crash des Williams-Piloten Nicholas Latifi kurz vor Schluss hätte es nicht geklappt. Das Safety-Car musste raus. Verstappen hatte elf Sekunden Rückstand, er ließ noch mal die schnelleren weichen Reifen aufziehen, Hamilton konnte nicht mehr nachlegen. Und als das Safety Car in Runde 57 reinkam, war der Weg frei für Attacke-Verstappen. Der Rückstand betrug nur noch eine Sekunde.

In der fünften Kurve: all in. Verstappen riskierte alles, er konnte nur gewinnen. Würden beide ausscheiden, wäre er Weltmeister, weil er bei Punktgleichheit einen Sieg mehr hatte bis zum Finale. Hamilton konnte sich kaum wehren, Verstappen zog vorbei und bog zur Endlos-Party ein, während Hamilton noch im Parc fermé erstmal regungslos mit Helm auf dem Kopf im Wagen verharrte.

Hamilton: «Sie haben einen großartigen Job gemacht»

Papa Anthony gratulierte bereits Verstappen und dessen Vater, und auch der geschlagene Superstar zeigte sportliche Größe: «Sie haben einen großartigen Job gemacht», lobte Hamilton den 34. Weltmeister der Königsklassen-Geschichte. Kein Trost an diesem Abend: Mercedes sicherte sich zum achten Mal nacheinander die Konstrukteurs-WM.

Red Bull war das auch egal. Teamchef Christian Horner kam zunächst aus dem Grinsen nicht mehr raus – ebenso aus den immer wieder nassen T-Shirts nach diversen Feier-Duschen. «Verdammt, wir lieben dich», sagte er Richtung Verstappen, der die titellose Zeit des Teams von Milliardär Dietrich Mateschitz nach den Triumphjahren mit Sebastian Vettel von 2010 bis einschließlich 2013 beendete.

In der Box jubelte Verstappens Freundin Kelly Piquet, deren Geburtstag er mit ihr zu Wochenbeginn noch in Dubai gefeiert hatte. Die Crew malte sich die niederländischen Farben ins Gesicht. Ihnen stand eine lange Feier bevor, auf den Jachten im Hafen flossen Bier und Champagner.

Frust bei Mercedes

Nebenan im Motorhome von Mercedes herrschten Frust und Entsetzen nach dem Nerven-Gipfel des Zoffduells zweier Ausnahmepiloten. Teamchef Toto Wolff wetterte im Rennen via Funk Richtung Rennleiter: «Das kannst du nicht machen.» Die Backenknochen malmten, der bekannt temperamentvolle Österreicher war im Wut-Modus. Zwei Tage nach dem demonstrativen Handschlag mit Horner riss das Finale die Wunden einer emotionsüberladenen Saison wieder auf. Und wie! Mit eher regloser Miene stapfte Horner nach der Anhörung vor den Rennkommissaren zurück in die Unterkunft. Kommentarlos.

Nicht nur gegen die Entscheidung von Rennleiter Michael Masi legte Mercedes Protest ein. Einen weiteren gab es, weil Verstappen vor Hamilton gewesen sein soll, ehe der Brite nach dem Ende der Safety-Car-Phase die letzten Kilometer eröffnete. «Was soll ich dazu sagen, das spiegelt ja nur die Saison wider», konterte Verstappen den Protest gelassen. Von gegenseitigen Vorwürfen gab es reichlich, vor allem der neue Champion fühlte sich zuletzt immer wieder benachteiligt.

Sollte sich am Ergebnis des Finalrennens und damit nochmal an der WM-Entscheidung etwas ändern, dürfte der Protest von Red Bull umgehend folgen. Das ist unstrittig. Und die Formel 1 hätte einer mitreißenden und packenden Saison, die lange in Erinnerung bleiben wird, einen Makel versetzt, für den nicht die Fahrer verantwortlich sind, die sich einen Kampf manchmal auch über dem Limit geliefert hatten.

Von Jens Marx und Martin Moravec, dpa