Nachspiel einer irren WM: Bangen für Weltmeister Verstappen
Max Verstappen aus den Niederlanden vom Team Red Bull jueblt über seinen Sieg in Abu Dhabi und den WM-Titel. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Kamran Jebreili/AP POOL/dpa)

Kurz vor Mitternacht in Abu Dhabi und nach über vierstündigem Bangen konnte die Weltmeister-Party bei Red Bull wieder richtig losgehen.

Teamchef Christian Horner überbrachte Max Verstappen die Nachricht höchstpersönlich und als Erstem: Der 24 Jahre alte Niederländer ist und bleibt der neue Champion in der Formel 1. Vorerst. Ein Protest des geschlagenen Rivalen Mercedes gegen das bemerkenswerte Vorgehen der Rennleitung in der alles entscheidenden Phase des irren Zweikampfs um die Krone in der Königsklasse wurde abgeschmettert.

Die Formel 1 schrammte an einen Image-Totalschaden zunächst vorbei. Beendet sein werden die Diskussionen noch lange nicht. Ob Mercedes in Berufung gehen wird, ließ der deutsche Werksrennstall nach dem Ende des Großen Preises von Abu Dhabi mit einem Verstappen als Sieger und damit Weltmeister durch ein Überholmanöver auf der allerletzten Runde gegen Hamilton zunächst noch offen. Er hinterlegte formal aber schon mal die entsprechende Absicht.

Nicht wenige hatten sich auf eine lange Nacht auf dem Yas Marina Circuit wegen eines möglichen Crashs der beiden WM-Duellanten eingestellt und einer befürchteten Entscheidung am Grünen Tisch. Für das Nachspiel sorgte aber eher die Rennleitung, die eine Zieleinfahrt hinter dem Safety Car verhindern wollte.

Verstappen: «Manchmal passieren Wunder»

Nur weil dieses in der 57. von 58 Runden wieder reinkam nach einem Crash des kanadischen Williams-Piloten Nicholas Latifi, konnte der bis dahin von Hamilton abgehängte Verstappen wieder nah genug rankommen, um mit den clevererweise noch einmal aufgezogenen schnelleren soften Reifen die letzte Attacke gegen Hamilton zu fahren. Mit Erfolg. In Kurve fünf und Runde 58 zog der Niederländer vorbei und sorgte erstmal für unbändigen Jubel. «Manchmal passieren Wunder», sagte er und kündigte nach dem Protest-Chaos in den Sozialen Netzwerken an: «Jetzt kann ich es genießen.»

Selten sahen die Fans den kompromisslosen Ausnahmefahrer so bewegt: «Es ist unglaublich, ich habe das ganze Rennen gekämpft. Es ist verrückt.» In seinem siebten Jahr erfüllte er sich den Traum vom WM-Titel auch vor den Augen seines ebenso gerührten Papas Jos Verstappen. «Max ist der Weltmeister, aber so fühle ich mich jetzt auch», sagte der Ex-Pilot. «Meine Familie, meine Freunde, fast alle, die mich immer gepuscht haben, sind hier. Es ist einfach fantastisch», meinte Sohn Max.

Was er und der fast schon auf tragische Weise entthronte Hamilton am Ende einer denkwürdigen Saison inszenierten, überbot noch mal alles. Verstappen verpatzte den Start von der Pole, er verlor die Führung an Hamilton nach wenigen Metern, griff in bekannt riskanter Manier direkt danach an, Hamilton wich aus, blieb aber vorn.

Jos Verstappen verschwand danach erstmal in einem Raum und litt vor sich hin. Bis wenige Kilometer vor der karierten Zielflagge. Auch der Bremsklotz-Versuch durch Verstappens Teamkollege Sergio Perez hatte Hamilton erst nicht vom Kurs auf den achten Titel und damit der alleinigen Rekordweltmeisterschaft vor Michael Schumacher abbringen können.

Entscheidung in der letzten Runde

Ohne den Latifi-Crash wäre es so gekommen. Doch es kam anders. Verstappen hatte elf Sekunden Rückstand vor der Safety-Car-Phase, er ließ noch mal die schnelleren Reifen aufziehen, Hamilton konnte dann nicht mehr nachlegen. Und als das Safety Car in Runde 57 reinkam und nach Meinung von Mercedes nach Auslegung der Regeln eine Runde zu früh, war der Weg frei für Attacke-Verstappen. Der Rückstand betrug nur noch eine Sekunde.

Verstappen riskierte alles, er konnte nur gewinnen. Würden beide ausscheiden, wäre er Weltmeister, weil er bei Punktgleichheit einen Sieg mehr hatte bis zum Finale. Hamilton konnte sich kaum wehren, Verstappen zog vorbei und bog zur Endlos-Party mit rund vierstündigem Stimmungsdämpfer ein, während Hamilton noch im Parc fermé erstmal regungslos mit Helm auf dem Kopf im Wagen verharrte.

Hamilton zeigt Größe

Papa Anthony Hamilton gratulierte bereits Verstappen und dessen Vater, und auch der geschlagene Superstar zeigte sportliche Größe: «Sie haben einen großartigen Job gemacht», lobte Hamilton den 34. Weltmeister der Königsklassen-Geschichte. Kein Trost an diesem Abend: Mercedes sicherte sich zum achten Mal nacheinander die Konstrukteurs-WM.

Red Bull war das auch egal. Teamchef Horner kam zunächst aus dem Grinsen nicht mehr raus – ebenso aus den immer wieder nassen T-Shirts nach diversen Feier-Duschen. «Verdammt, wir lieben dich», sagte er Richtung Verstappen, der die titellose Zeit des Teams von Milliardär Dietrich Mateschitz nach den Triumphjahren mit Sebastian Vettel von 2010 bis einschließlich 2013 beendete.

In der Box jubelte Verstappens Freundin Kelly Piquet, deren Geburtstag er mit ihr zu Wochenbeginn noch in Dubai gefeiert hatte. Die Crew malte sich die niederländischen Farben ins Gesicht. Ihnen stand eine lange Feier bevor, auf den Jachten im Hafen flossen Bier und Champagner.

Frust bei Mercedes

Nebenan im Motorhome von Mercedes herrschten Frust und Entsetzen nach dem Nerven-Gipfel des Zoffduells zweier Ausnahmepiloten. Teamchef Toto Wolff wetterte im Rennen via Funk Richtung Rennleiter: «Das kannst du nicht machen.» Die Backenknochen malmten, der bekannt temperamentvolle Österreicher war im Wut-Modus. Zwei Tage nach dem demonstrativen Handschlag mit Horner riss das Finale die Wunden einer emotionsüberladenen Saison wieder auf.

Nicht nur gegen die Entscheidung von Rennleiter Michael Masi legte Mercedes Protest ein. Einen weiteren gab es, weil Verstappen vor Hamilton gewesen sein soll, ehe der Brite nach dem Ende der Safety-Car-Phase die letzten Kilometer eröffnete. Die Rennkommissare schmetterten diesen Protest auch ab.

Erledigt ist das alles aber noch nicht. Sollte Mercedes Protest einlegen, geht das Nachspiel sportjuristisch weiter. Vonseiten des Teams herrschte erstmal vielsagendes Schweigen, für Redestoff sorgte dieses Finale aber reichlich.

Von Jens Marx und Martin Moravec, dpa