Mercedes-Pilot Lewis Hamilton steuert den Formel-1-Boliden über den Kurs von Abu Dhabi. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Hasan Bratic/dpa)

Toto Wolff ist fassungslos. Perplex kratzt sich der Mercedes-Teamchef am Kopf. Immer wieder. Er tigert durch die Box, greift dann zu seinem Headset und ruft leidend über Funk: «Nein, Michael, nein, nein, Michael, das war so nicht richtig!»

Es sind die letzten Kilometer des Formel-1-Thrillers von Abu Dhabi am 12. Dezember. Lewis Hamilton verliert im Mercedes seinen schon greifbaren achten WM-Titel nach den umstrittenen Entscheidungen des Renndirektors Michael Masi. Max Verstappen krönt sich stattdessen im Red Bull erstmals zum Champion.

Wolff: «Werden niemals darüber hinwegkommen»

Mercedes bleibt der historische achte Konstrukteurstitel am Stück – Wolff und Hamilton der Sportlerschmerz. «Wir werden niemals darüber hinwegkommen, das ist nicht möglich», sagt Wolff nach diesem unglaublichen Adrenalin-Finale.

Seit diesem Tag im Dezember ist eine Menge passiert in der Formel 1. Es gab Spekulationen über einen vorzeitigen Rücktritt Hamiltons, immensen juristischen Druck von Mercedes auf den Motorsport-Weltverband Fia – und Konsequenzen.

Masi wurde abgesetzt. Der Australier, Anfang 2019 nach dem Tod von Renndirektor-Legende Charlie Whiting aufgestiegen, war nicht mehr tragbar. Es gibt nun ein «Rennmanagement-Trio»: Der Deutsche Niels Wittich und Eduardo Freitas aus Portugal wechseln sich als Renndirektor ab, Urgestein Herbie Blash – lange Whitings Stellvertreter – steht ihnen als Berater zur Seite.

Das ist aber noch nicht alles, um Druck von der Rennleitung zu nehmen und für eine nachvollziehbare Regelauslegung auf dem Asphalt sorgen zu können. Es wird einen virtuellen Rennkontrollraum geben. Diesen kann man sich ähnlich dem Video-Assist-Center, also dem «Kölner Keller», in der Fußball-Bundesliga vorstellen.

Rennkontrollraum zur Unterstützung

Der Rennkontrollraum liegt in einem der Fia-Büros außerhalb der Rennstrecke und will mit moderner Technologie in Echtzeit den Renndirektor unterstützen, der bei seiner Regelanwendung wiederum auf das Urteil der Sportkommissare zurückgreift.

Der neue Fia-Präsident Mohammed Ben Sulayem kündigte als weitere Maßnahme an, dass der während des Rennens live im TV übertragene Funkverkehr abgeschafft wird. Damit soll der Rennleiter «vor jeglichem Druck» geschützt werden, um in Ruhe und ohne externe Beeinflussung Entscheidungen zu treffen.

In Abu Dhabi hatte Masi während der entscheidenden Safety-Car-Phase nicht nur Wolff am Ohr, sondern auch Red Bulls Sportdirektor Jonathan Wheatley. Es wird angenommen, dass sich Masi von Wheatley hat beeinflussen lassen. Fragen an den Rennleiter werden auch künftig möglich sein, aber nur «nach einem genau definierten und nicht aufdringlichen Verfahren».

Schumacher mit Kritik am öffentlichen Funkverkehr

Für den früheren Formel-1-Fahrer Ralf Schumacher war Masi nicht das Problem. «Die Qualität des Rennleiters war sehr gut», sagte der TV-Experte von Sky. Der Bruder von Michael Schumacher sah im öffentlichen Funkverkehr das Manko: «Permanent den Big Boss von einer Firma auf dem Ohr zu haben, das ist schwer.»

Schumacher hält Wittich, den früheren DTM-Rennleiter, für «auf jeden Fall geradlinig». Entscheidend wird ihm zufolge bei der Rennführung jedoch dieser Aspekt sein: «Die Kernfrage ist: Wie konsequent werden die Regeln umgesetzt?»

Eine Auflösung dürfte es in Bahrain zum ersten Grand Prix des Jahres geben. Die Ergebnisse der Fia-Untersuchung im Fall «Abu Dhabi» stehen jedoch noch aus. Wie genau kam es zum Systemversagen?

Diese Frage beschäftigt auch Hamilton. Der Rekordweltmeister wünscht sich eine lückenlose Offenlegung der Ergebnisse. «Ich hoffe, dass sie jeder zu sehen bekommt», äußerte der Brite, der verstehen will, was in der Schlussphase für ihn so fatal schief lief. Danach könne man vielleicht «wieder nach vorne schauen».

Von Martin Moravec, dpa